Energetische Sanierung: Planen in Mensch-Maschine-Kollaboration
Die energetische Transformation des Bestands ist eine Investition in die Zukunft. Sie spielt eine zentrale Rolle für das Erreichen der Klimaschutzziele und steigert obendrein den Immobilienwert. Dennoch liegt die Sanierungsquote auf historisch niedrigem Niveau. Kann Künstliche Intelligenz helfen, den Faktor Unsicherheit in puncto Rentabilität auszuhebeln? Daniel Gerdelmann, Leiter ESG & Sustainability bei apoprojekt, über datengetriebene Planung als Schlüssel für fundierte Sanierungsentscheidungen.

Mehrfamilienhaus im begehrten Hamburger Stadtteil Rotherbaum, Baujahr 1993, 12 Einheiten, Balkon, Gartennutzung, Tiefgarage – ein Selbstläufer, sollte man meinen. Wäre da nicht das „E“ im Energieausweis. Laut einer Studie von Sprengnetter fallen in der Elbmetropole 40 Prozent der Mehrfamilienhäuser in die Energieeffizienzklasse E oder schlechter und gelten damit als „braune“ Immobilien; bundesweit liegt der Anteil bei 43 Prozent. Das Beispiel zeigt eine grundlegende Verschiebung am Markt: Das alte Mantra „Lage, Lage, Lage“ ist weiterhin präsent, jedoch bekommt die energetische Qualität immer mehr Gewicht und wird zum echten Gegenpol. Wer nicht in die Zukunftsfähigkeit seines Bestands investiert, riskiert Wertverluste oder sogar Leerstand. Umgekehrt realisieren Wohnimmobilien mit sehr guten Effizienzklassen, so eine Wirtschaftlichkeitsanalyse der Prognos AG im Auftrag des WWF Deutschland , bis zu 30 Prozent höhere Verkaufserlöse als Gebäude mit den schlechtesten Verbrauchskennzahlen.

Falsche Zurückhaltung: Klimaziele rücken in die Ferne
Energetische Sanierungen steigern nicht nur den Wert von Immobilien. Sie sind vor allem ein zentraler Hebel für den Klimaschutz. Hier besteht dringender Handlungsbedarf: Deutschland will gemäß Klimaschutzgesetz bis 2045 treibhausgasneutral sein. Doch die aktuellen Projektionsdaten verdeutlichen, dass dieses Ziel mit den bestehenden Instrumenten nicht erreichbar ist. Auch die Vorgaben der EU-Klimaschutzverordnung (Effort Sharing Regulation) für den Zeitraum 2021 bis 2030 droht Deutschland zu verfehlen. Das geht vor allem auf das Konto des Gebäudesektors – neben dem Verkehr einer der beiden Hauptverursacher. Allein der Gebäudebetrieb verursacht rund 35 Prozent des Endenergieverbrauchs und 30 Prozent der CO₂-Emissionen.¹ Insgesamt steigt die Emissionslücke gegenüber dem Vorjahr um 78 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalente auf nunmehr 110 Millionen Tonnen.²
Mit der Abkehr von den Sektorenzielen hat die Novellierung des Klimaschutzgesetzes im Juli 2024 zwar etwas Druck vom Kessel genommen, entlässt die Branche jedoch nicht aus ihrer Verantwortung. Vielmehr gilt es, endlich den Sanierungsturbo zu zünden. Denn 2024 wurden gerade einmal 0,69 % des Gebäudebestand energetisch modernisiert.³ Um bis 2045 Treibhausgasneutralität zu erreichen, müsste die Quote allerdings bis 2030 auf 1,9 % steigen.⁴

KI schlägt Bauchgefühl
Und was hat das alles nun mit Künstlicher Intelligenz zu tun? Die Gründe für die geringe Sanierungsbereitschaft sind vielfältig: hohe Bau- und Finanzierungskosten, regulatorische Unsicherheiten, ein undurchsichtiger Förderdschungel und nicht zuletzt Mietenregulierungen in Form abgesenkter Kappungsgrenzen und der Mietpreisbremse. Der gemeinsame Nenner? Fehlende Planbarkeit und Berechenbarkeit. Genau hier spielt KI ihre Stärke aus. Um den Bestand noch besser zu verstehen, arbeitet apoprojekt mit dem österreichischen Deep-Tech-Startup OPTIMUSE zusammen. Dessen Plattform für KI-basierte Gebäudeplanung ermöglicht innerhalb kürzester Zeit objektive, datengetriebene Entscheidungen.
Präskriptive Analysen liefern konkrete Handlungsempfehlungen
Eine energetische Sanierung kostet schnell über 1.000 Euro/qm Bruttogrundfläche (BGF). Umso wichtiger ist es, aus jedem investierten Euro den maximalen Energieeffizienzgewinn herauszuholen. OPTIMUSE digitalisiert zunächst die vorliegenden statischen Gebäudedaten, bereinigt sie und schließt gegebenenfalls Datenlücken. Auf dieser Basis erstellt die Software dann einen digitalen Zwilling, mit dessen Hilfe sich umfassende Analysen und bauphysikalische Simulationen durchführen lassen. Wie verhält sich zum Beispiel die Heizlast nach einer Fassadendämmung? Die Simulation berechnet exakt die Wärmemenge, die benötigt wird, um selbst an kältesten Tagen eine angenehme Raumtemperatur sicherzustellen. Damit gehören teure Überdimensionierungen – in diesem Fall der neuen Heizungsanlage – der Vergangenheit an. Zudem kann OPTIMUSE verschiedene Varianten durchspielen: Welche Energieersparnis erzielt Fenstermodell X zu welchen Kosten? Wie steht es um das Kosten-Nutzen-Verhältnis bei Modell Y? Das Ergebnis sind belastbare Handlungsempfehlungen, die zeigen, welche energetischen Sanierungsmaßnahmen sich wirklich rechnen.

„Die Kosten einer energetischen Sanierung sind zu hoch, um sich auf Schätzungen oder Erfahrungswerte zu verlassen. Deshalb setzen wir auf eine Software, die auf Basis detaillierter Gebäudedaten und individueller Zielvorgaben die kosteneffizienteste Sanierungsstrategie mit technischen Maßnahmen, Investitions- und Energieeinsparpotenzialen sowie verschiedenen Szenarien zur Zielerreichung ermittelt. Das ermöglicht intelligente, datenbasierte Entscheidungen und beschleunigt den Übergang von der Konzeption zur Ausführung. Weg von der Theorie, hin zu Praxis.“
Daniel Gerdelmann,
Leiter ESG & Sustainability bei apoprojekt